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Soll ich an einer Studie teilnehmen, bei der Medikamente oder medizinische Verfahren getestet werden?

16.05.2011 von LAG Redaktion

Haben Sie in der S-Bahn, U-Bahn oder im Bus ein Plakat gesehen, auf dem Menschen gesucht werden, die ein neues Medikament ausprobieren? Darunter steht die Telefonnummer einer Ihnen völlig unbekannten Firma, wahrscheinlich einer GmbH oder AG. Manchmal werden Gesunde gesucht, manchmal Menschen mit einer bestimmten Erkrankung, zum Beispiel "Frauen mit wechseljahresbdingten Hitzewallungen " oder "Menschen mit Gürtelrose im Alter von 50 bis 59 Jahren ".Manchmal ist von einer "klinischen Studie " die Rede, manchmal wird als Gegenleistung Geld angeboten (zum Beispiel als "Aufwandsentschädigung"). Da fragen Sie sich: Wie seriös ist diese Studie und diese Firma? Wie groß ist das Risiko, wenn ich mich daran beteilige?

Am geringsten ist das Risiko, wenn Sie gar nicht mitmachen. Doch wenn Sie eine Krankheit haben, gegen die es keine wirksamen Mittel gibt, hoffen Sie wahrscheinlich auf neue Medikamente und nehmen auch ein gewisses Risiko in Kauf. Oder Sie wollen die Wissenschaft unterstützen, denn neue Arzneimittel oder Verfahren müssen ja auch am Menschen erprobt werden, Sie wollen aber genau wissen, auf was Sie sich da einlassen. Oder Sie haben finanzielle Gründe, bei Arzneimittelstudien mitzumachen, vielleicht sogar wiederholt, weil Sie immer wieder Geld brauchen.

Wir sprechen in diesem Merkblatt darüber, was Sie beachten sollten, bevor Sie an einer Medikamentenstudie oder Klinischen Studie teilnehmen. ( "Klinische Studie " ist übrigens der Sammelbegriff für alle Studien, in denen Arzneimittel oder medizinische Verfahren und Geräte erprobt werden. Sie müssen nicht in einer Klinik stattfinden, ihr Hauptmerkmal ist vielmehr, dass sie unter streng kontrollierten Bedingungen ablaufen.)

In diesem Merkblatt geht es also um den Weg vor Ihrer Entscheidung. Wenn Sie sich für die Teilnahme an einer Studie zu neuen Arzneimitteln oder Verfahren der Medizin entschieden haben und sich dann ausführlicher mit der Frage beschäftigen wollen, wie solche Studien ablaufen und was während der Studie für Sie als "Versuchsperson " oder Studienteilnehmer zu beachten ist, können Sie die am Ende dieses Merkblatts aufgeführten Quellen nutzen.

Grundsätzliches zu Klinischen Studien

Eine klinische Studie oder Prüfung darf nur durchgeführt werden, wenn die Gefahren und Risiken im Verhältnis zum erhofften Vorteil und Nutzen vertretbar erscheinen. Einrichtungen, die klinisch prüfen, werden durch eine Bundesbehörde überwacht, entweder das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) oder das Paul-Ehrlich-Institut (PEI), beide in Berlin. Jede einzelne klinische Prüfung muss vor der Durchführung zwei Hürden überwinden: Erstens muss diese Aufsichtsbehörde sie genehmigen, zweitens muss die zuständige Ethik-Kommission sie zustimmend bewerten. Dann ist das pharmazeutische Unternehmen, das die Studie in Auftrag gibt (es heißt in diesem Zusammenhang "Sponsor "), verantwortlich für die Sicherung und Kontrolle der Qualität bei der von ihm beauftragten Studienfirma. Es muss die Durchführung der Studie streng überwachen und begleiten.

Klinische Studien durchlaufen meist vier Phasen. In Phase 1 werden Wirkung und Verträglichkeit erprobt, meist an gesunden Menschen (sie heißen dann "Probanden ") oder ausgewählten Kranken. In Phase 2 geht es um die Wirksamkeit, meist im Vergleich zu bereits bewährten Präparaten oder zu sogenannten Placebos (Schein-Medikamenten). In Phase 3 wird an einer größeren Zahl Erkrankter das Verhältnis von Nutzen und Risiko geprüft und die richtige Dosierung ermittelt. Dann kann die Zulassung beantragt werden. Phase 4 ist die Beobachtung während der Langzeit- Anwendung, zum Beispiel die Suche nach seltenen Nebenwirkungen und nach Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten. (Ausführlicher wird das alles in Broschüren dargestellt, die für die Teilnehmer an Klinischen Studien geschrieben wurden, siehe Hinweis am Ende.)

Wie erkenne ich seriöse Studien?

Wenn Sie der Werbung für eine Klinische Studie oder der Suche nach Betroffenen mit einer bestimmten Krankheit folgen, sollten Sie immer wieder prüfen, ob das Ganze seriös wirkt: beim Lesen der Werbung, bei Ihrem ersten Anruf, beim persönlichen Informationsgespräch, bei der Aufklärung über Risiken und Gefahren (und, falls Sie teilnehmen, natürlich auch während der Studie und auch noch danach). Wir machen Ihnen für die ersten drei Schritte Vorschläge, welche Fragen Sie stellen können: 1. Werbung, 2. Erstkontakt, 3. Informationsgespräch(e) vor Studienbeginn. Natürlich wäre auch das Verhalten des Unternehmens während und nach der Studie ein wichtiges Kriterium für seine Seriosität, aber uns geht es hier darum, dass Sie schon vor ihrer Zusage, an einer Studie teilzunehmen, genau prüfen und aufpassen.

Einige unserer Vorschläge gelten nur für eine konkret geplante Studie. Wenn z.B. gesunde Probanden gesucht werden, die in einer Datenbank "auf Vorrat " gespeichert und irgendwann bei Bedarf, wenn eine Studie geplant wird, angesprochen werden sollen, können manche Informationen natürlich noch nicht gegeben werden.

1. Werbung

  • Die Aufforderung zur Teilnahme an einer Studie sollte keine Werbung sein, sondern sachliche Information. Das heißt sie sollte keine Gefühle vermitteln oder ansprechen – also nicht mit gefühlsbetonten Begriffen wie Lebensfreude, Glück, Wohlbefinden und dergleichen arbeiten, sondern sachlich erklären, wer für welchen Test gesucht wird.
  • Das Studienunternehmen sollte mit vollständiger Adresse auf dem Plakat stehen, nicht nur mit Telefonnummer oder Internet-Adresse.
  • Wünschenswert sind außerdem weitere Informationen, etwa zur Art der Studienfirma und zum Auftraggeber (der Pharmafirma, die die Studie in Auftrag gegeben hat).
  • Die Gegenleistung für Ihre Teilnahme muss dagegen nicht unbedingt schon auf den ersten Plakaten und Informationen als Summe in Euro dargestellt werden. Das würde vor allem Menschen anziehen, die wiederholt an Studien teilnehmen und vielleicht sogar darüber ihren Lebensunterhalt zu finanzieren versuchen. Das ist jedoch eine kritische Gruppe, sowohl was ihr eigenes Risiko betrifft als auch für die Studienunternehmen, denen nicht an der Wechselwirkung verschiedener neuer Medikamente im Körper ihrer Probanden gelegen sein kann.

2. Erstgespräch

Wenn Sie die Telefonnummer der Studienfirma wählen, sollte diese schon im ersten Gespräch einige Fragen an Sie stellen, die wichtig sind, um herauszufinden, ob Sie überhaupt an der Studie teilnehmen können:

  • Welche Krankheiten, Operationen, ggf. Implantate haben oder hatten Sie?
  • Welche Medikamente nehmen Sie regelmäßig ein, welche sporadisch?
  • Sind oder waren Sie in den letzten Jahren Teilnehmer an weiteren klinischen Studien?

Außerdem brauchen Sie möglichst viele Informationen über die bevorstehende Studie:

  • Was ist das Ziel der Studie? Was wird getestet, welche Ergebnisse werden erwartet?
  • Welche Art von Studie ist geplant: Welche Phase? Werden Gesunde (Probanden) gesucht oder Kranke (Patienten)?
  • Welcher Nutzen und welche Risiken und Nebenwirkungen sind zu erwarten im Vergleich zu Behandlungsmethoden, die es bisher schon gibt?
  • Welche Untersuchungen werden im Rahmen dieser Studie an Ihnen vorgenommen, bevor der eigentliche Test des neuen Medikaments oder Verfahrens beginnt?
  • Wie läuft Ihre Teilnahme an der Studie ab? Wie lang dauert sie, wie oft müssen Sie wohin kommen, müssen Sie in eine Arztpraxis oder ein Krankenhaus, was wird dann dort mit Ihnen gemacht, wie wird Ihnen das Medikament gegeben (z.B. eingenommen oder gespritzt), wie lange müssen Sie jedes Mal dort bleiben, wie werden Sie beobachtet und überwacht…?
  • Wie müssen Sie sich während der Teilnahme an der Studie verhalten, z.B. müssen Sie auf etwas verzichten (Kaffee, Alkohol, Sonne, die Pille, Schwangerschaft …)?
  • Wie sind Sie gegen Risiken und Nebenwirkungen versichert?

Falls diese Fragen nicht von der Studienfirma angesprochen wurden, sollten Sie selbst noch einige Fragen stellen:

  • Wer ist der Auftraggeber ( "Sponsor") der Studie?
  • Welche Ethik-Kommission hat die Durchführung der Studie zustimmend bewertet?
  • Was ist, wenn die Studie vor dem geplanten Ende abgebrochen werden muss?
  • Kann ich das neue Medikament oder Verfahren nach Ende der Studie weiter bekommen?

3. Informationsgespräch(e) vor Studienbeginn

Wenn das erste Gespräch am Telefon Ihr Vertrauen in die Seriosität der Studienfirma erweckt hat, folgt wahrscheinlich ein persönliches Gespräch bei dem Unternehmen.

Lassen Sie sich in diesem Gespräch nicht drängen, gleich in die Teilnahme einzuwilligen. Sie sollten ein paar Tage warten, nachdenken und mit Familie oder Freunden darüber sprechen, bevor Sie sich entscheiden.

  • Die Studienfirma muss Ihnen bei diesem Gespräch – oder schon vorher im telefonischen Erstgespräch – schriftliche Informationen über die geplante Studie anbieten bzw. mitgeben. Darin müssen Informationen zu finden sein über die Studienleitung, den Studienverlaufsplan, den Datenschutz, Ihr Recht zurückzutreten, auch noch während der Studie, die Versicherung gegen unerwünschte Schäden und Nebenwirkungen sowie Wege-Unfälle, eine jederzeit erreichbare Kontakt- oder Beschwerdestelle.
  • Sind diese Informationen so verständlich geschrieben, dass sie auch von Menschen verstanden werden können, die keine höhere Schule besucht haben? Eigentlich sollten die schriftlichen Informationen über eine klinische Studie sogar in sehr einfacher Sprache verfasst sein und am besten auch in den gängigsten Fremdsprachen angeboten werden.
  • Beobachten Sie, wie die Vertreter der Studienfirma auf Ihre Nachfragen reagieren. Sind sie gern bereit, Ihnen alle Informationen zu geben, oder reagieren sie unwirsch, ausweichend, unverständlich oder mit wolkigen Formulierungen?

Folgende Fragen sollten von der Studienfirma eigentlich unaufgefordert angesprochen werden. Wenn nicht, fragen Sie selbst danach:

  • Welche Art von Studie ist das? Es kann für Sie zum Beispiel wichtig sein, ob zwei Medikamente verglichen werden, etwa ein neues gegen ein erprobtes, oder ob ein neues Arzneimittel gegen Placebo getestet wird, das heißt: Die Hälfte der Studienteilnehmer bekommt ein "Schein- Medikament ", das wie ein Medikament aussieht, aber gar keine Wirkstoffe enthält.
  • Hat sich der Auftraggeber der Studie verpflichtet, die Ergebnisse zu veröffentlichen, auch wenn die Studie für sein Medikament negativ ausgeht? Das ist bei Phase-1-Studien nicht üblich, sollte aber bei Studien in späteren Phasen zugesichert werden.
  • Kann es sein, dass Sie im Laufe der Studie um die Teilnahme an einer Folgestudie gebeten werden? Vielleicht möchten Sie das schon vorher wissen.

Wenn Sie dann eine Einwilligungs-Erklärung oder einen Vertrag unterschreiben, achten Sie auf folgendes:

  • Eine Verpflichtung, unerwünschte Wirkungen oder Komplikationen bei einer bestimmten Stelle zu melden, ist sinnvoll und wünschenswert. Sie müssen genau wissen, was Sie zu tun haben, wenn die Wirkung des getesteten Medikaments anders ausfällt als erwartet. Streichen Sie aber Klauseln, die Sie zum Schweigen gegenüber Außenstehenden verpflichten, falls unerwünschte Wirkungen auftreten.
  • Besprechen Sie das Dokument, das Sie unterschreiben sollen, lieber noch mit jemandem, den Sie kennen – am besten natürlich mit einem Menschen, der sich mit solchen Verträgen auskennt. Unterschreiben Sie erst nach ausreichender Bedenkzeit.

Für Kinder und Jugendliche gelten besondere Schutzbedingungen. Ähnliches gilt für erkrankte einwilligungsunfähige Erwachsene, Schwangere und Stillende.

Bücher, Broschüren und Internet-Quellen zu Klinischen Studien

  • Das Clinical Trial Center North ist das Studienzentrum des Universitätskrankenhauses Hamburg-Eppendorf (UKE). Es hat in Zusammenarbeit mit dem Gesundheitsamt der Stadt Münster und der Verbraucherzentrale Hamburg eine Broschüre entwickelt, die den Teilnehmern an klinischen Studien genau erklärt, wie eine Studie abläuft und welche Rechte die Probanden und Patienten während und nach der Studie haben. Die Broschüre können Sie bestellen beim CTC North, Martinistr. 52, 20246 Hamburg; Tel. (040) 7410-51640, Fax (040) 7410-51642, eMail: info-ctc@uke.de, Internet: www.ctc-north.com. Die vergleichbare Broschüre der Stadt Münster ist zum Download erhältlich unter http://www.liga.nrw.de/_media/pdf/service/Publikationen/pub-arz/klin-pruefung-2-auflage-mai-05.pdf.
  • Eine ähnliche Broschüre – an manchen Stellen nicht ganz so vollständig, jedoch sehr verständlich formuliert – hat der Verband der forschenden Pharma-Unternehmen (vfa) herausgegeben. Ihr Text ist auf der vfa-Website zu finden und kann dort auch als pdf-Dokument heruntergeladen werden: http://vfa.de/studienteilnahme. Eine zweite Broschüre "Kinder und Jugendliche in Klinischen Studien " können Sie ebenfalls von der Homepage des Verbands heruterladen: www.vfa.de/kijustudien. Beide können Sie auch als Broschüre bestellen, im Internet unter www.vfa.de/publikationen oder beim vfa, Hausvogteiplatz 13, 10117 Berlin.
  • Internetnutzer finden ausführliche und kritische Informationen auch bei Wikipedia unter http://de.wikipedia.org/wiki/Klinische_Studie.
  • Kritische Stimmen zur weltweiten Arzneimittelforschung finden sich beispielsweise bei medico international (http://www.medico.de/material/artikel/arzneimittelforschung/3578/).
  • Buchtipp: Hans-Peter Beck-Bornholdt, Hans-Hermann Dubben: Der Schein der Weisen. Irrtümer und Fehlurteile im täglichen Denken, Rowohlt Taschenbuch, 2003

Stand: März 2011

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